Blick in die Karten nicht mehr als „oberflächlich“?

Verbände der Mieter und Grundeigentümer halten die EVI-Zahlen zum Gaspreis für nicht aussagefähig – und empfehlen Boykott

(ha) Eine „Offenlegung der Gaspreis-Kalkulation“ hatte der Energieversorger EVI seinen Kunden zum Jahreswechsel versprochen, um damit zugleich seine jüngste Gaspreiserhöhung zum Januar zu rechtfertigen. Doch von dem Zahlenwerk, das die Stadtwerke-Tochter tatsächlich auf den Tisch gelegt hat, zeigen sich der Mieterverein und auch der Haus- und Grundeigentümerverein nun gleichermaßen enttäuscht. Die in ihren Augen dürre Aufschlüsselung eines einzigen Tarifs sei „oberflächlich“, „nicht nachvollziehbar“ und „nicht transparent“, so die Sprecher beider Verbände, Volker Spieth und Broder Bösenberg.
Gemeinsam mit dem Energieberater Manfred Dimmann haben sie sich die veröffentlichten Daten angesehen – und die Papiere enttäuscht wieder zur Seite gelegt. Die Rohmarge, hinter der sich auch der Gewinn verbirgt, betrage zwar nur 0,77 Prozent. Doch was sich hinter der Position Netzkosten (22,78 Prozent) versteckt, sei nicht erkennbar: Abschreibungen, Rücklagen, kalkulatorische Zinsen? Oder aber auch verkappte Gewinne? 51,66 Prozent verschlingen die Beschaffungskosten mit dem Leistungspreis für die Bereitstellung und dem an den Ölpreis gebundenen Arbeitspreis. Auch dort bleiben für die Verbände viele Fragen offen. „Wir können nur spekulieren“, sagt Haus- und Grund-Geschäftsführer Bösenberg.
Ohnehin hält er die viel zitierte Koppelung des Gaspreises an den Ölpreis für überholt: Sie sei ein Relikt der 60er Jahre, als man skeptischen Verbrauchern die Energiequelle Gas schmackhaft machen wollte. Heute sei die Koppelung längst nicht mehr erforderlich, und im Gesetz festgeschrieben sei sie schon gar nicht, sondern nur „branchenüblich“.
Rückendeckung erhofft sich Spieth nun auch von der Regulierungsbehörde und vom Kartellamt, das bundesweit Preisunterschiede von bis zu 40 Prozent entdeckt habe. Und auch der „Bund der Energieverbraucher“ habe unlängst eine auffällige Diskrepanz entdeckt: Zwischen Juni 2004 und Juni 2005 seien die Gaspreise für die Verbraucher im Schnitt um 56 Prozent gestiegen – und damit deutlich mehr als die Importpreise, die nur zwischen 20 und 30 Prozent gestiegen seien. Im Bundesvergleich lägen die Hildesheimer Gaspreise übrigens noch im „unteren Mittelfeld“.
Ihren Mitgliedern empfehlen beide Verbände, Rechnungen entweder unter einem „qualitativen Vorbehalt“ zu zahlen oder aber die Mehrkosten ganz zurückzuhalten und sich dabei auf § 315 BGB zu berufen, weil die Kalkulation nicht ausreichend dargelegt worden sei. Dass die Gaslieferanten aufmüpfigen Kunden den Hahn zudrehen, erwarten sie nicht, weil ein so rigoroses Vorgehen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletze. Unter Umständen aber könne die Sache vor Gericht gehen. Eine gerichtliche Klärung steht bislang in Hildesheim nicht an, wohl aber in Hamburg und in Heilbronn. Dort, so Spieth, hätten Verbraucher geklagt, erst Urteile würden in Kürze erwartet. Ob die unterlegene Partei den Richterspruch akzeptieren wird, erscheint ihm allerdings mehr als fraglich. Eher vermutet er den langen Weg durch die Instanzen. Immerhin geht es in dem Streit um viele Millionen Euro. Allein die EVI habe in ihrem Geschäftsfeld mehr als zwölf Millionen Euro Gewinn erwirtschaftet.
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(c) 2006 Hildesheimer Allgemeine Zeitung vom 12.01.2006